Kategorie: Niederschlesien

Historischer Kammweg wird wieder belebt

Dieser Beitrag knüpft an den Beitrag vom 05.01.2024 an. Darin ging es um die Historie des alten böhmischen Kammweges und wie daraus die Idee für das Wanderprojekt kammtouren.eu entstand.

Jetzt machen wir einen Zeitensprung.

Der alte Kammweg war zwar fast 70 Jahre unsichtbar, aber völlig verschwunden war er nie. Im Riesengebirge gab es ihn nach 1945 auf dem traditionellen Verlauf als „Weg der tschechisch-polnischen Freundschaft“. Diese Freundschaft bezog nicht unbedingt wandernde DDR- Bürger ein. Wer z.B. die Schneekoppe von der tschechoslowakischen Seite kommend besteigen und an der Schlesischen Baude auf die polnische Seite wechseln wollte, wurde nicht selten von Grenzsoldaten daran gehindert. Tschechen und Slowaken durften, was DDR- Deutschen verwehrt blieb. Das ist Geschichte; heute interessiert sich niemand mehr für den Grenzverlauf. Europa lebt auch im Riesengebirge. Umfangreich zusammengefasst ist das inzwischen tschechisch-polnische Projekt auf der Webseite Hrebrenovka. In sehr informativen Beiträgen und Youtube- Videos werden Abschnitte des Kammweges und der Riesengebirgslandschaft in den Regionen Reichenberg/ Liberec, Königsgrätz/ Hradec Králové, Pardubitz/ Pardubice und Olmütz/ Olomouc bis zum Altvater/ Praděd und auf der niederschlesischen Seite in Polen vorgestellt. Das Projekt  „Tschechisch-Polnische Hřebenovka – Östlicher Teil“ Reg. Nr. CZ.11.2.45/0.0/0.0/16_025/0001254 wurde  im Rahmen des grenzüberschreitenden Kooperationsprogramms Interreg VA Tschechische Republik – Polen 2014 – 2020 umgesetzt.

Der westliche Teil des alten böhmischen Kammweges befindet sich überwiegend auf dem Gebiet der Aussiger Region/ Ústecký kraj. Er führt von Ost nach West – oder in der Gegenrichtung – durch das Isergebirge/ Jizerské hory, das Lausitzer Gebirge/ Lužické hory, die Böhmische Schweiz/ České Švýcarsko und das Erzgebirge/ Krušnohoří. Zahlreiche Abschnitte sind neu markiert und teilweise umverlegt worden. Der Streckenverlauf im Böhmischen Erzgebirge soll laut Klub Tschechischer Touristen/ Klub českých turistů, kurz KČT, im Verlaufe des Jahres 2024 vollständig fertiggestellt und mit dem traditionellen blauen Kammwegzeichen markiert sein.

Wir sind neugierig auf das Ergebnis und entschlossen, ein tolles Wandererlebnis daraus zu machen.

Erstes Tourenprogramm auf kammtouren.eu ist online!

Das ging ja fix! Am 1. Januar 2024 war die neue Webseite kammtouren.eu online und am 26. Januar 2024 ist das aktuelle Tourenprogramm buchbar! Möglich war das, weil der Veranstaltungskalender von Datefix schon von der Stammseite natursaxe.de genutzt wird und „nur“ um die geführten Kammtouren ergänzt werden musste. Natürlich war auch der Aufbau der Seiten, das Durchsuchen des Fotoarchivs mit ca. 15.000 digitalen Fotos und die finale Gestaltung des bewusst schlicht gehaltenen WordPress Themes mit Arbeit verbunden. Aber die ging erfreulich leicht von der Hand – oder besser: von der Tatstatur.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Ab sofort ist die Anmeldung für zunächst 27 geführte KammTouren möglich. Die meisten davon führen über tschechisches Gebiet. Nordböhmen ist ein Wanderparadies direkt vor der Haustür. Außer Alpengletschern und Mittelmeer gibt es dort alles, was des Wanderers (m/w/d) Herz begehrt. Der romantische Maler Ludwig Richter soll einst seinen Studenten vorgeschwärmt haben: „Böhmen! Gehen Sie nach Böhmen! Böhmen, das ist unser Italien!“ Recht hat er, aber vor lauter Begeisterung vergaß er das paradiesische Niederschlesien zu erwähnen. Auch dort werden wir unterwegs sein.

KammTouren in Sachsen sind ebenfalls geplant, aber noch nicht buchbar. Das liegt am § 11 (4) des Sächsischen Waldgesetzes, der für organisierte Veranstaltungen im Wald eine besondere Erlaubnis des Waldbesitzers vorschreibt. Es ist eine spannende und zeitraubende Aufgabe für einen Veranstalter, alle entlang seiner geplanten Routen existierenden Waldbesitzer zu ermitteln, zu kontaktieren, mit ihnen eine Vielzahl von Erlaubnissen auszuhandeln und Gestattungsverträge zu abzuschließen. Fast überflüssig zu erwähnen, dass dieses extrem bürokratische Verfahren auch Geld kostet. Über die Gesetzeshürde konnten wir in 2024 bisher nicht springen und rechtswidrig handeln wollen wir nicht. Deshalb wird es wohl noch ein Weilchen dauern, bis auch sächsische KammTouren buchbar sind. Aber es besteht Hoffnung: Wir haben uns für das neue „Lizenzprogramm für Naturveranstaltungen im Wald“ des Staatsbetriebes Sachsenforst beworben und hoffen, dass der Vertrag bis zum Beginn der Sommersaison abgeschlossen werden kann. Das Glas ist vielleicht inzwischen eher halbvoll, als halbleer.

Führen Kammtouren immer nur oben entlang?

Wie im vorigen Beitrag erwähnt, geht der Begriff „Kammweg“ auf den 1902 und in Folgejahren angelegten Fernwanderweg durch Nordböhmen und Teile Sachsens und Niederschlesiens zurück. Der vierzinkige Kamm wurde zum Erkennungszeichen und zur Markierung eines Weges, der nicht nur auf den obersten Kammlinien ausgewählter Mittelgebirge verlief. War das im Erzgebirge und im Riesengebirge aufgrund der flächenmäßigen Ausdehnung der Kammregionen noch möglich, verliefen jedoch andernorts viele Abschnitte in einem steten Wechsel von Auf und Ab. Übergänge von Erz- zu Elbsandsteingebirge oder über die vulkanischen Kegelberge bis zum Jeschken sind nur durch Geländesenken möglich. Die unterschiedliche Topografie machte den historischen Kammweg so abwechslungs- und erlebnisreich. Die Macher orientierten sich bei der Wegeanlage zunächst vor allem an herausragenden Landmarken der durchwanderten Gebirge. Nach und nach wurde zusätzlich zu den markierten Wegen eine erweiterte touristische Infrastruktur in Form von Aussichtstürmen, Berggaststätten und Bauden geschaffen, von der wir heute noch profitieren. Ein gutes Beispiel für Nachhaltigkeit, wenn auch historisch bedingt nicht ökologisch motiviert.

Um auf die in der Überschrift gestellte Frage zurückzukommen: Nein, die neuen Kammtouren.eu führen nicht nur „oben“ entlang. Dort wo es sich anbietet, geht es selbstverständlich auf die Gipfel hinauf oder auf Panoramawegen über ausdehnte Kammflächen mit und ohne grandiose Fernsichten. Es wird aber im Auf und Ab auch Tal-, Fluss- und Klammabschnitte geben. Zum Start der Wandersaison stehen zunächst 44 Touren mit einer Gesamtdistanz von 863 km, über 297 Stunden Gehzeit und mehr als 23.000 zu absolvierenden Höhenmetern bereit- siehe folgende komoot- Collection:

Das ist noch nicht der volle Angebotsumfang, sondern lediglich der Anfang. Auch können leider nicht sofort alle geplanten Touren ausgeschrieben werden. Der Terminmangel lässt es nicht zu. Es ist aber nicht ausgeschlossen, im Laufe des Jahres jeweils 30 Tage vor Tourbeginn weitere Touren online zu stellen.

Die zusammengefassten Tourenparameter lassen erahnen, dass die Touren konditionell anspruchsvoll sind und ein gewisses Zeitvolumen beanspruchen. Es wird nicht möglich sein, erst gegen 10:00 Uhr vom Frühstückstisch aufzustehen und 18:00 Uhr frisch geduscht im Hotel am Abendbrottisch zu sitzen. Die ausgewählten Kammtouren.eu sind nicht für Langschläfer, Kurzstreckenfans, Insta- Junkies und Microabenteuerer (alle jeweils m/w/d) geeignet. Nicht geeignet sind sie auch für Großgruppen. Es wird deshalb ein Teilnehmerlimit geben. Weitere Informationen können den jeweiligen Ausschreibungen entnommen werden.

Der altneue Kammweg -oder: Wie die Idee zu kammtouren.eu entstand!

Die Idee des Alten Kammweges entlang der Kammlinien von Elster- und Erzgebirge, Böhmischer Schweiz, Lausitzer-, Jeschken-, Iser- und Riesengebirge bis zum Altvatergebirge ist eine echte Erfolgsgeschichte. Sie begann im Jahr 1902 mit vier deutschen Gebirgsvereinen im nördlichen Böhmen – daher auch der vierzinkige Kamm als Symbol und Wegezeichen – und der Einrichtung der ersten ca. 60 km eines neuen Fernwanderweges. Nach und nach wurde der Weg in der Folgezeit erweitert, bis er schließlich mit ca. 820 km seine längste Ausdehnung erreichte und zu seiner Zeit zum längsten Fernwanderweg im deutschsprachigen Raum avancierte. Nach 1945 geriet er in Folge der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei in Vergessenheit und verfiel vielerorts. Wegezeichen und alles, was an die deutsche Vergangenheit im verschwundenen Sudetenland erinnerte, wurde entfernt, zerstört, vergessen. Fast alles. Die einstigen Wege jedoch waren physisch weiterhin vorhanden. Teilweise wurden sie umgewidmet zu asphaltierten Forststraßen, Radrouten oder Wanderwegen nach der neuen tschechoslowakischen Markierungssystematik. Einzelne alte Wegemarkierungen wurden aber offenbar übersehen oder in weiser Voraussicht bestehen gelassen. Mancherorts wurden sie bei Wanderungen sichtbar und machten neugierig. Nach und nach tauchten unter der Hand auch wieder alte Wanderkarten und -führer auf und ermöglichten das Nachvollziehen alter Routen. Bis eines schönen Tages die Geheimniskrämerei nicht mehr nötig war.

Es sollte jedoch noch fast 30 Jahre dauern, bis auch auf tschechischen Wanderwegweisern der blaue, vierzinkige Kamm seine Renaissance erleben durfte. Inzwischen gab es auf sächsischer Seite des Erzgebirges einen neuen, touristischen Kammwanderweg, der freilich nicht entlang der Kammlinie verläuft. Wer es etwas ausführlicher mag, bitte hier entlang: https://de.wikipedia.org/wiki/Kammweg_(1904).

Den alten Original- Kammweg gibt es nicht mehr, aber viele seiner früheren Abschnitte. Hinzu kamen Varianten, die der neuen Realität Rechnung tragen und inzwischen zu einer echten Bereicherung des Wegeangebotes wurden. Die altneuen Wege führen durch zauberhafte Landschaften, die natur-, kultur- und geschichtsinteressierte Wanderer (m/w/d) begeistern und fesseln. Sie sind vergleichsweise leicht zu erreichen; jedenfalls muss man nicht um die halbe Welt fliegen. Viele Start- und Zielorte erreicht man auch mit der Tschechischen Bahn, übrigens ein echtes Kontrasterlebnis zur gegenwärtigen Deutschen. Pünktlich, zuverlässig, preiswert.

Anfangs, zu DDR- Zeiten, war es „nur“ das etwas andere Urlaubserlebnis. Inzwischen sind die Kammregionen Tschechiens und Polens zu einer Art neuer Heimat in Europa geworden. Und seine Heimat bewahrt man nicht nur im Herzen, sondern lädt auch gern dahin ein. Zum Beispiel auf geführte Wander- und Trekkingtouren von und mit kammtouren.eu!

Seit Mitte der 1970-er Jahre bin ich immer wieder und mit wachsender Begeisterung in Tschechien und später auch in Polen unterwegs. Seit 2006 führe ich dort auch Wanderungen für Gruppen und kann inzwischen aus einem Tourenpool von mehr als 180 Routen auswählen – Tendenz kontinuierlich steigend. Alle Touren sind selbst geplant, begangen und qualitätsgeprüft. Es ist nun an der Zeit, sie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.